Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention verlangt unter anderem die Barrierefreiheit von informationstechnischen Systemen und Arbeitsstätten ohne weitere Einschränkungen. Es sind hier strenge Maßstäbe anzusetzen. Die Konvention ist nach der höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen.
Als weitere Grundlage für die unabdingbare Berücksichtigung der IT-Barrierefreiheit ist das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung („e-Governmentgesetz“) zwingend zu beachten. Hier ist in § 14 geregelt:
(1) Die Behörden gestalten die elektronische Kommunikation und die Verwendung der elektronischen Dokumente schrittweise so, dass sie barrierefrei nach den Bestimmungen des Bremischen Behindertengleichstellungsgesetzes genutzt werden können.
(2) Die Verfahren zur elektronischen Vorgangsbearbeitung und Aktenführung sind schrittweise technisch so zu gestalten, dass sie auch von Menschen mit Behinderungen in der Regel uneingeschränkt genutzt werden können; dies ist bereits bei der Planung, Entwicklung, Ausschreibung und Beschaffung zu berücksichtigen.
(3) Die Bestimmungen des Bremischen Behindertengleichstellungsgesetzes bleiben unberührt.
Das Gesetz ist am 22.03.2018 in Kraft getreten, so dass von diesem Zeitpunkt an die Planung, Entwicklung und ggf. auch die Ausschreibung die Anforderung der Barrierefreiheit berücksichtigt werden müssen.
Zum 23. September 2018 war die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen in deutsches Recht umzusetzen. Welcher Umsetzungsbedarf ergibt sich aus der Richtlinie und welche Verbesserungen sind von ihr zu erwarten?
1. Was ist eine Richtlinie der Europäischen Union?
Die Gesetzgebung der Europäischen Union kennt zwei Rechtsakte: die Verordnung und die Richtlinie. Während eine EU-Verordnung für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union unmittelbar gilt, eine Verordnung also ohne weitere Maßnahme des Mitgliedsstaates in den nationalen Rechtsordnungen Anwendung findet, bedürfen Richtlinien zur ihrer Verbindlichkeit im innerstaatlichen Recht noch der Umsetzung durch das jeweilige Mitgliedsland.
2. Ab wann müssen die Vorgaben der Richtlinie spätestens beachtet werden?
Das deutsche Recht, das die Richtlinie umsetzt, muss spätestens bis zum 23. September 2018 erlassen worden sein. Für die tatsächliche Umsetzung räumt die Richtlinie weitere Fristen ein:
Websites, die ab dem 23. September 2018 veröffentlicht werden, müssen spätestens ein Jahr später den Anforderungen der Richtlinie genügen, also ab dem 23. September 2019.
Websites, die bereits vor dem 23. September 2018 veröffentlicht worden waren, müssen erst noch ein Jahr später, also ab dem 23. September 2020 den Anforderungen der Richtlinie genügen.
Mobile Anwendungen müssen sogar erst ab dem 23. Juni 2021 den Vorgaben der Richtlinie entsprechen, egal, wann sie das erste Mal veröffentlicht wurden.
Auf welche Internetangebote bezieht sich die Richtlinie?
Die hier zu besprechende Richtlinie regelt Websites und mobile Anwendungen. Mobile Anwendungen definiert die Richtlinie als Software, die programmiert wurde, damit Inhalte von einem unbestimmten Kreis von Nutzenden insbesondere auf Smartphones und Tablets abgerufen werden können. Zu den mobilen Anwendungen gehören also nicht solche Anwendungen, die nur einem geschlossenen Nutzerkreis zur Verfügung gestellt werden. Demgegenüber erfasst die Richtlinie auch ab dem 23. September 2019 veröffentlichte Websites für geschlossene Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern (Extranets und Intranets).
Für bestimmte Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen enthält die Richtlinie Sonderregelungen, nämlich für alle Büro-Dokumenten-Formate wie z. B. pdf-Dokumente, für Audio- und Videoformate, für Wiedergaben von Gegenständen, die von historischen, künstlerischen, archäologischen, ästhetischen, wissenschaftlichen oder technischem Interesse sind, für Online-Karten und Kartendienste sowie für Archive. Unter Archive versteht die Richtlinie solche Inhalte, die für Verwaltungsverfahren nicht benötigt werden und die auch nicht mehr aktualisiert oder bearbeitet werden.
Die Anforderungen basieren – wie die der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung des Bundes (BITV 2.0) - auf den weltweit gültigen Web Content Accessibility Guidelines. Nach der BITV 2.0 sind zum Beispiel pdf-Dokumente unabhängig davon, wann sie veröffentlicht worden sind, schon heute barrierefrei zu gestalten.
Die Richtlinie fordert aber eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen, die in Deutschland bislang nicht oder nicht in allen Fällen vorgesehen sind:
• Die öffentlichen Stellen müssen eine Erklärung online zur Verfügung stellen, inwiefern ihre Websites und mobilen Anwendungen der Richtlinie entsprechen. Insbesondere ist anzugeben, welche Inhalte aus welchen Gründen nicht barrierefrei nutzbar sind und ob es ggf. alternative Zugänge zu ihnen gibt.
• Damit Nutzerinnen und Nutzer Mängel der Barrierefreiheit melden können, ist ein so genannter Feedback-Mechanismus vorzusehen. Dieser Feedback-Mechanismus soll auch dazu dienen, dass Informationen, die nach der Richtlinie nicht den Barrierefreiheitsanforderungen unterliegen, in einem geeigneten Format zur Verfügung gestellt werden können.
• Die Mitgliedsstaaten müssen überwachen, ob die öffentlichen Stellen die Anforderungen der Richtlinie einhalten und darüber der Kommission spätestens am 23. Dezember 2021 das erste Mal und ab dann alle 3 Jahre öffentlich in einem zugänglichen Format berichten. Die Richtlinie legt für das Überwachungsverfahren weitere Einzelheiten fest.
• Schließlich müssen die Mitgliedsstaaten ein angemessenes und wirksames Durchsetzungsverfahren zur Einhaltung der Anforderungen vorsehen. Ein solches Durchsetzungsverfahren kann zum Beispiel ein Ombudsmann respektive eine Ombudsfrau sein (soll derzeit beim Bremischen Landesbehindertenbeauftragten geschaffen werden).
Die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0) trat am 22. September 2011 in Kraft und setzte gleichzeitig die veraltete BITV aus dem Jahr 2002 außer Kraft. Am 03.12.2016 wurde eine leicht angepasste Fassung der BITV 2.0 in Kraft gesetzt. Die Verordnung gilt für Webseiten und andere grafische Programmoberflächen der Dienststellen und sonstigen Einrichtungen der Bundesverwaltung.
Ziel der BITV 2.0 ist es, Webseiten und andere grafische Oberflächen technisch so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderungen diese nutzen können. Insbesondere sollen deshalb neben der Übernahme der international anerkannten Standards für barrierefreie Webinhalte, die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0, auch die Belange gehörloser, hör-, lern- und geistig behinderter Menschen berücksichtigt werden. Die BITV 2.0 regelt u.a. den sachlichen Geltungsbereich, die einzubeziehenden Gruppen behinderter Menschen und die anzuwendenden Standards.
Beispiele: Die Software muss ohne Maus nutzbar sein, es darf keine „Tastaturfalle“ geben, die Kontrastwerte müssen stimmen usw. usw.
Die BITV 2.0 galt zunächst nur für die Bundesverwaltung sowie Landeskörperschaften, die Bundesrecht ausüben. Auf Länder- und kommunaler Ebene greifen Landesgleichstellungsgesetze und ggf. länderspezifische Verordnungen. In Bremen ist dies durch das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz geregelt (aktuelle Version vom 18.12.2018).
Aktuell wird an der Nachfolgeversion, also BITV 2.1, gearbeitet. Sobald diese Vorschrift offiziell gültig ist, wird hier darüber informiert.